Messen, Wiegen, Zählen

Feldhamsterforscherin Dr. Carina Siutz über die Schulter geschaut

Foto Copyright (c) Christine Sonvilla
Mitten in Wien gibt es eine große Population von Feldhamstern. Auf den europäischen Äckern fast ausgestorben, fühlen sich die Nagetiere hier offenbar sehr wohl. Warum ist das so? Und was bedeutet das für den Schutz der selten gewordenen Feldhamster in Deutschland? Das untersucht eine Biologin, die dafür im Jahr 2019 den Forschungspreis der Deutschen Wildtier Stiftung erhalten hat

Er hat schwarze Knopfaugen, ein rot-braun-weiß geschecktes Fell und lebt normalerweise auf dem Acker: der Feldhamster. In Deutschland ist er hoch bedroht und nur noch in wenigen Bundesländern zu finden (hier geht es zur Karte "Verbreitung und Lebensraum des Feldhamsters" ). Monokulturen und zu frühe Erntezeiten machen dem Hamster in fast allen europäischen Ländern das Überleben schwer. Die Deutsche Wildtier Stiftung ist Partner im Verbundprojekt „Feldhamsterland“, das in den Bundesländern Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Hessen und Thüringen umgesetzt wird (hier geht es zum Verbundprojekt). Mancherorts hat sich der kleine Nager aber auch neue Territorien erschlossen. Im österreichischen Wien beispielsweise lebt der Feldhamster mitten in der Stadt. Tagsüber streift er durch öffentliche Parkanlagen oder über Innenhöfe; und auch in den Grünanlagen eines städtischen Krankenhauses ist er zu finden. Passanten und Parkbesucher kennen die umtriebigen Nager bereits. Viele freuen sich, die Hamster in der Natur zu beobachten.

Dr. Carina Siutz, Verhaltensforscherin für Feldhamster an der Universität Wien, beobachtet und untersucht die Tiere von Berufs wegen. Sie möchte wissen, welche Lebensraumbedürfnisse der Feldhamster hat, wie sich unterschiedliche Nahrungsangebote und Ruhephasen auswirken und warum die Wiener Hamsterdamen so viel Nachwuchs gebären. Siutz‘ Erkenntnisse liefern Hinweise darauf, welche Schutzmaßnahmen für den hoch bedrohten Feldhamster entwickelt werden können, die auch in Deutschland greifen. Daher hat Carina Siutz im Jahr 2019 den Forschungspreis der Deutschen Wildtier Stiftung erhalten. Alle zwei Jahre vergibt die Stiftung den mit bis zu 50.000 Euro dotierten Preis, der intensive Forschungsvorhaben rund um die heimische Tierwelt ermöglichen will. Bereits seit 1997 fördert die Stiftung so die Arbeit herausragender Nachwuchswissenschaftler.

Welche Faktoren beeinflussen den Reproduktionserfolg von Feldhamstern?

Die Preisträgerin hat bei ihrer Arbeit bereits herausgefunden, das Männchen und Weibchen sich unterschiedlich auf ihre Ruhephasen in den kalten Monaten vorbereiten. „Das Feldhamstermännchen futtert sich ordentlich Winterspeck an, um die nahrungsarme Zeit zu überstehen. Weibchen füllen dagegen fleißig ihre Vorratskammern“, sagt Siutz. „Von diesen Vorräten knabbert das Weibchen ausgiebig, bevor Stoffwechsel, Herzschlag und Atmung absinken und der Winterschlaf beginnt." Warum sich beide Geschlechter so unterschiedlich verhalten, ist noch nicht gänzlich erforscht. Bekannt hingegen ist: Je früher die Weibchen aus dem Winterschlaf erwachen, desto mehr Nachwuchs bekommen sie. Die Wissenschaftlerin möchte nun den Zusammenhang zwischen der Vorratsmenge eines Feldhamsters im Winterlager und der Nachwuchsrate im kommenden Sommer verstehen. Dafür vergleicht sie die Nachwuchsrate von Feldhamsterweibchen, denen Extrafutter zur Verfügung gestellt wird, mit der Nachwuchsrate von nicht gefütterten Weibchen. In Wien finden die Feldhamster im Vergleich zu ländlichen Regionen viele verschiedene Futterquellen: Grünpflanzen, wie zum Beispiel Klee, Löwenzahn und Wegerich fressen die Hamster das ganze Jahr über, hat Carina Siutz beobachtet. „Und sie sammeln auch sehr viel davon", sagt Siutz. Als Winternahrung stehen den Hamstern Samen von Robinien, Früchte, Beeren, Haselnüsse, Schwarznüsse und Eicheln zur Verfügung, abhängig davon, in welchem Park oder auf welcher Wiese sie sich aufhalten.

Im Sommer werden die Hamster vermessen, gewogen und gezählt

In den Sommermonaten kommt der Feldhamsternachwuchs auf die Welt. Das ist die Zeit, in der Carina Siutz täglich draußen ist, um die Feldhamster einzufangen. Männchen, Weibchen und der Nachwuchs – jedes Individuum muss erfasst, vermessen und gewogen werden. Klettern die Nager aus dem Bau, werden sie mit Erdnussbutter-Ködern in ungefährliche Drahtfallen gelockt. Fällt deren Klappe zu, beginnt sofort die Hamster-Inventur. Um die Wildtiere behutsam zu behandeln und um sie möglichst wenig in Stress zu versetzten, hat Carina Siutz sich dafür ein mittlerweile gut erprobtes Prozedere überlegt: So werden die Käfige mit einem Tuch bedeckt. Während des Wiegens auf einer Küchenwaage und auch beim Vermessen sitzt der Hamster in einem kleinen Säckchen, das die Feldhamsterforscherin aus einer ausgedienten Jeanshose genäht hat. Präzise und genau notiert sich Carina Siutz die Daten und lässt die Hamster anschließend sofort wieder frei. Im Herbst und Winter wertet sie das umfangreich angelegte Protokoll dann am Schreibtisch aus. Sie rechnet und vergleicht und freut sich über Hinweise, unter welchen Bedingungen sich die so selten gewordenen Tiere am besten vermehren. Erkenntnisse, die dem bedrohten Nager dann hoffentlich auch auf deutschen Äckern helfen.
Klicken Sie sich durch unsere Bildergalerie und schauen Sie der Forschungspreisträgerin der Deutschen Wildtier Stiftung bei ihrer Arbeit in Wien über die Schulter.

Feldhamster im schwarzen Hintergrund
Fotoquelle: ArcoImages / imageBROKER

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