Freiluftkino mit Suchtgefahr

Herbstlicher Vogelzug in Klepelshagen

Allabendlich fallen die Kraniche zum Schlafen am Galenbecker See ein. Ein spektakuläres Naturschauspiel, was jedes Jahr viele Naturtouristen in ihren Bann zieht.

Wenn die Tage kürzer werden und der erste Nebel über den Feldern liegt, scheint der Himmel über Klepelshagen lebendig zu werden. Denn im Herbst wird die Gegend um unser Stiftungsgut für einige Wochen zu einem bedeutenden Knotenpunkt im weltweiten Netzwerk der Vogelwanderungen. Tausende Zugvögel kommen hierher, um auf ihrem Weg nach Süden Rast zu machen. Uns Menschen bieten sie ein einzigartiges Naturspektakel direkt vor unserer Haustür. In diesem Jahr aber haben die Reisenden leider einen sehr gefährlichen Passagier im Gepäck: Die Vogelgrippe fordert in Klepelshagen die ersten Opfer unter den Kranichen.

Der nahe gelegene Galenbecker See ist ein wichtiger Rast- und Schlafplatz für Zugvögel. Seine weiten, seichten Wasserflächen, umgeben von Röhrichten und Feuchtwiesen, bieten ideale Bedingungen für Kraniche, Gänse und zahlreiche andere Wasservögel, die hier Kraft für den Weiterflug sammeln. Auf den an Gut Klepelshagen angrenzenden Acker- und Feuchtflächen finden viele der Herbstgäste Nahrung. Kraniche, Bläss- und Saatgänse picken tagsüber Körner auf abgeernteten Maisfeldern. Die Kraniche, die bei Klepelshagen rasten, stammen vor allem aus Norwegen, Schweden, Finnland und dem Baltikum. Sie folgen dem westeuropäischen Zugweg bis in ihre Winterquartiere in Frankreich und Spanien. Der Galenbecker See liegt günstig auf dieser Strecke.

Majestätische Kraniche und geschwätzige Stare

Abendliche Rückkehr zu den Schlafplätzen

Wenn die Kraniche sich in der Abenddämmerung von den Feldern erheben, ist die Luft erfüllt von ihren trompetenden Rufen. In großen Formationen kehren sie zu ihren Schlafplätzen zurück und lassen sich im Flachwasser des Galenbecker Sees nieder. Wer genau hinhört, kann die Stimmen von Elterntieren und Jungvögeln unterscheiden: Die Rufe der Altvögel sind kräftiger und weithin zu hören, die Stimmen der jungen Kraniche heller und deutlich leiser.

Im Herbst sammeln sich auch Hunderttausende Stare in der Umgebung von Klepelshagen, bevor sie in großen Schwärmen nach Frankreich, Spanien oder Nordafrika weiterziehen. Bei ihren abendlichen Versammlungen machen sie ordentlich Radau. Genauso faszinierend sind die spektakulären Formationsflüge, die sie vor dem Einflug in die Schlafplätze aufführen: Tausende Vögel drehen, kippen und wirbeln in immer neuen Mustern durch die Luft. Das perfekt abgestimmte Gruppenverhalten bietet den Staren Schutz vor Greifvögeln und ermöglicht ihnen blitzschnelle Kommunikation. Die Starenbestände sind in den letzten Jahrzehnten in Teilen Europas zurückgegangen, unter anderem weil Brutplätze verloren gehen und Insektennahrung fehlt. Umso wertvoller sind Gebiete wie Klepelshagen, die den Vögeln auf dem Zugweg gute Rastplätze bieten.

Bunte Ringe erzählen Reisegeschichten

Vogelzählung in Klepelshagen

Wie viele Vögel halten sich in Klepelshagen auf und woher kommen sie genau? Um das herauszufinden, dokumentieren wir den herbstlichen Vogelzug ganz genau. Regelmäßig zählen wir frühmorgens Kraniche und Gänse an ihren Schlafplätzen am Galenbecker See. Bei einzelnen Kranichen lesen wir die Farbringe an den Beinen ab. Die Markierungen verraten, wo und wann die Tiere beringt wurden. So tragen zum Beispiel auch die Nachkommen der mehr als 20 Kranich-Brutpaare auf Gut Klepelshagen solche Ringe. Die Farbkombinationen der Markierungen melden wir an das europäische Beringungsnetz EURING und leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Vogelzugs. Wissenschaftler können anhand der Meldungen die Routen der Kraniche nachvollziehen und Veränderungen im Zugverhalten über Jahre hinweg dokumentieren. In manchen Jahren kommen bis zu 25.000 Kraniche nach Klepelshagen, in diesem Herbst haben wir bislang 10.000 von ihnen gezählt. Auch 30.000 Bläss- und Saatgänse, 4.000 Graugänse, 1.000 Tafelenten, 1.000 Reiherenten, 5.000 Löffelenten, 8.000 Blässhühner, 1.800 Höckerschwäne und 200 Haubentaucher machen derzeit hier Rast.

Mit den Kranichen kam die Vogelgrippe

Weniger erfreulich ist, dass in diesem Herbst mit den ziehenden Kranichen das Vogelgrippe-Virus H5N1 in die Region gelangt ist. Am Galenbecker See gab es bereits erste Nachweise. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, wurden wir vom Veterinäramt des Landkreises eingewiesen, tote Vögel zu bergen und zu melden. Bisher haben wir 100 verendete Kraniche registriert. Da das Gebiet am Galenbecker See nur schwer zugänglich ist, liegt die tatsächliche Zahl vermutlich höher. Erkrankte Vögel ziehen sich abseits der Gruppen zurück, sie wirken schwach und zeigen häufig Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen. Das Vogelgrippe-Virus H5N1 wurde erstmals 1996 bei Hausgeflügel in der Provinz Guangdong im Süden Chinas nachgewiesen. Die aktuell zirkulierende Variante hat sich seit 2021 in Europa etabliert und ist besonders anpassungsfähig. Sie befällt heute weit mehr Vogelarten als frühere Stämme, darunter auch solche, die vorher kaum betroffen waren, wie Kraniche oder Seevögel.

Hotspot im weltweiten Vogelzug

Klepelshagen mag manchmal wie eine heile Welt wirken – die Vogelgrippe führt uns vor Augen, wie auch dieser scheinbar isolierte Lebensraum in globale ökologische Prozesse eingebunden ist. Doch gleichzeitig erleben wir hier gerade noch etwas anderes: wie wertvoll selbst kleine, aber naturnahe und strukturreiche Lebensräume für den weltweiten Vogelzug sein können, wenn sie den Tieren Ruhe, Nahrung und Sicherheit bieten. Und der Vogelzug bleibt eines der eindrucksvollsten Naturschauspiele überhaupt. Man muss gar nicht in ferne Länder reisen, um es zu erleben. Ein klarer Herbstabend in Klepelshagen reicht völlig aus.

Gut Klepelshagen

Gut Klepelshagen – Wirtschaften mit der Natur

Auf Gut Klepelshagen zeigt die Deutsche Wildtier Stiftung, wie ein Leben und Wirtschaften mit der Natur funktionieren kann.

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Foto: Michael Tetzlaff

Flächenkarte

Mit dem Kauf von Flächen können Lebensräume für Wildtiere und Wildpflanzen dauerhaft gesichert werden.

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Um möglichst umfassende Ergebnisse zu bekommen, haben wir abwechslungsreiche Heckenstrukturen für die Untersuchung ausgewählt.

Zwischenstopp im Dickicht

Wie wichtig sind Hecken als Rasthabitat und Rückzugsraum für Kleinvögel auf dem jetzt beginnenden Vogelzug? In einem neuen Beringungsprojekt soll die Bedeutung von Heckenstrukturen auf den Kleinvogelzug erforscht werden.

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