Zehn Jahre „Wilde Mühlenkinder“
Ein Projekt in Leipzig zeigt, dass Naturverbundenheit nicht mit der Einschulung enden muss

Kräuter sammeln, Tierspuren enträtseln, barfuß durch den Wald stapfen – solche Erfahrungen machen Kinder in Natur- und Waldkindergärten jeden Tag. Wenn sie in die Schule kommen, ändert sich das. Die Natur ist dann bestenfalls noch Thema im Sach- und Biologie-Unterricht. Wie können sie sich trotzdem ihre Naturverbundenheit bewahren? Das Projekt „Wilde Mühlenkinder“ in Leipzig gibt darauf seit zehn Jahren eine ganz eigene Antwort: Die Ehemaligen des Naturkindergartens Wassermühle gehen regelmäßig zusammen raus ins Grüne. Am 13. September 2025 feierte das Projektteam mit Kindern, Eltern und Wegbegleitern zehnjähriges Jubiläum. Als Unterstützer des Kindergartens und der „Mühlenkinder“ waren auch wir dabei.
Das Projekt „Wilde Mühlenkinder“ wurde 2015 von Sven Lars Schulz ins Leben gerufen. Er ist stellvertretender Leiter des Naturkindergartens Wassermühle. „Wir wollten, dass die intensive Naturzeit nicht einfach endet, sobald die Kinder eingeschult werden“, erklärt er. „Die Erfahrung mit der Natur sollte nicht auf einen Lebensabschnitt beschränkt sein. Sie bleibt wichtig, gerade wenn die Welt der Kinder komplexer wird.“
Die Kinder sind Teil eines größeren Ganzen
Um weiterhin gemeinsam Naturerfahrungen zu machen, treffen sich die ehemaligen Kinder der Wassermühle einmal im Monat. Zu Beginn des Nachmittags kann jeder in seinem Tempo ankommen, bevor sich die Gruppe zum Einstieg im Kreis versammelt. Dann folgt eine gemeinsame Aktivität, die von den Pädagogen angeleitet wird. Die Kinder machen Feuer, lesen Fährten oder bestimmen Kräuter. All das fördert Kreativität, Selbstwirksamkeit und Artenkenntnis. Gemeinsame Naturerlebnisse stärken das Sozialverhalten der Mühlenkinder, ermuntern sie Verantwortung zu übernehmen und geben ihnen die Möglichkeit, sich als Teil eines größeren Ganzen zu erleben.
Carolin Berthold ist Pädagogin im Naturkindergarten Wassermühle. Sie arbeitet seit 2023 im Projekt mit und freut sich: „Die Rückmeldungen der Familien sind durchweg positiv. Viele Eltern schätzen es, dass ihre Kinder auch nach der Kindergartenzeit draußen aktiv sein können, oft an den gleichen, vertrauten Orten. Manche Kinder waren acht Jahre lang Teil des Projekts. Sie sind jetzt 15. Diese Langzeitbindung ist für uns und die Eltern etwas ganz Besonderes.“
Dass in Leipzig etwas Besonderes passiert, fand auch das Bundesamt für Naturschutz. 2019 hat das BfN die „Wilden Mühlenkinder“ im Wettbewerb „Soziale Natur – Natur für alle“ der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Die prämierten Projekte zeigen, welche Chancen Natur und biologische Vielfalt für den sozialen Zusammenhalt bieten.
Die „Wilden Mühlenkinder“ werden organisatorisch und finanziell unterstützt von der Deutschen Wildtier Stiftung und der Organisation Amöba – Verein für Umweltbildung e. V. Der Naturkindergarten Wassermühle gehört zu den Patenkindergärten der Deutschen Wildtier Stiftung, Träger ist die Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH.
Was der Wunschbaum verrät
Die Deutsche Wildtier Stiftung war auch beim Jubiläumsfest am 13. September 2025 mit von der Partie: Mit unserer Unterstützung pflanzten Kinder und Erwachsene gemeinsam heimische Sträucher, um den Aufenthaltsplatz des Naturkindergartens ökologisch aufzuwerten. Die Pflanzen haben wir als Geschenk zum Jubiläum zur Verfügung gestellt. Ein Wildapfelbaum, den die Mühlenkinder vor Jahren gepflanzt hatten, wurde zum Wunschbaum: Auf bunten Karten schrieben die Gäste ihre Wünsche für die Natur und die nächsten Generationen auf. „Mehr Tiere im Wald“, „Dass alle Kinder draußen spielen können“, „Dass der Wald nicht verschwindet“ – die Botschaften zeigen eindrucksvoll, wie sehr sich die Mühlenkinder der Natur verbunden fühlen.
Zum Ausklang gab es Suppe, Geschichten und Erinnerungen am Lagerfeuer. Dabei spürten alle den Geist der „Wilden Mühlenkinder“: Das Projekt ist mehr als ein Freizeitprogramm, es ist für viele ein prägender Teil ihrer Kindheit.
Erfahrungen, die bleiben
Immer wieder stehen die Pädagogen im Projekt vor Herausforderungen. Ältere Kinder haben zunehmend schulische und private Verpflichtungen. Die Naturplätze müssen kontrolliert und gepflegt werden, Sturm oder Vandalismus verursachen Schäden, die repariert werden müssen. Doch der Ausblick bleibt optimistisch: Für die Zukunft sind mehrtägige Naturfahrten geplant, etwa mit dem Kanu oder einer Übernachtung im Tipi. Es soll weniger, aber dafür längere Treffen geben, damit die Kinder eine intensivere Zeit in der Natur haben.
Die „Wilden Mühlenkinder“ zeigen eindrucksvoll, wie Naturpädagogik auch nach der Kindergartenzeit weiterwirken kann. Das Projekt schafft Erfahrungsräume in der Natur, in denen Kinder wachsen können – spielerisch, selbstbestimmt und in Verbindung mit anderen und ihrer Umwelt. Und wer einmal barfuß durch den Wald gelaufen ist, in vertrauter Runde am Feuer gesessen oder den ersten Funken selbst entfacht hat, der weiß: Manche Erfahrungen bleiben ein Leben lang.